It Comes at Night

Diese Besprechung von Dr. Alexander Wiehart wurde am 27. September 2017 online gestellt.

Bitte Folgendes beachten: Ziel meiner Besprechungen ist es nicht, Empfehlungen abzugeben. In erster Linie setze ich mich essayistisch mit Filmen und Serien auseinander und behandle an ihnen allgemeine philosophische, sozial- und geisteswissenschaftliche Fragen. Dabei muss ich das „Ende“, Pointen, Wendungen und Clous oft in die Überlegungen einbeziehen. Wer sich daher Spannung und Suspense nicht verderben lassen will, lese meine Kritiken immer erst nach Sehen des Films beziehungsweise der Serie! Die Spoilerwarnung ist hiermit ausgesprochen.

It Comes at Night: USA 2017, R: Trey Edward Shults, D: Joel Edgerton, Kelvin Harrison Jr., Christopher Abbott, Carmen Ejogo, Riley Keough.
Besprechungsgrundlage ist die originalsprachliche Aufführung auf dem Fantasy Filmfest in Berlin am 19. September 2017. Erscheint voraussichtlich im Januar 2018 in deutschen Kinos.

Agonie: Schweres Atmen, das in knurrendes Grunzen übergeht, ein entstellter Körper. Der Vater (Joel Edgerton) spricht gasmaskengedämpft tröstende Worte zu seinem siebzehnjährigen Sohn (Kelvin Harrison Jr.) über dessen monströs hinscheidenden Großvater hinweg. In die Trauer mischt sich Angst vor Ansteckung. Statt des Sonntagsanzuges trägt man Schutzkleidung. Zur Pietät fehlen offenbar auch die Mittel: per Schubkarre wird der Sterbende in den Wald transportiert. Abgeladen, besiegelt ein Kopfschuss den Tod. Der Leichnam wird in eine schmutzige, gelbe Plane gewickelt, in eine frisch ausgehobene Grube geworfen, mit Benzin übergossen und angezündet. Das Feuer brüllt in der Abenddämmerung hoch, wie die Stille dieses Films überhaupt alle Geräusche fast unerträglich verstärkt: Im Haus dröhnen die Schritte auf den Dielen, sachte geschlossene Türen donnern ins Schloss, selbst das leiseste Flüstern hallt durch die hölzernen Korridore. So sehr ist man bemüht, ja keinen Lärm zu machen, der ein namenloses Übel anlocken könnte. Wovor sich die in ihrem Haus verbarrikadierende Kernfamilie aus Mutter Sarah (Carmen Ejogo), Vater Paul und Sohn Travis so sehr fürchtet, wird bis zum Ende des Films nicht sichtbar. Es sind die Infizierten, die nachts Jagd auf die Lebenden machen, Zombies wohl, die ungezeigt viel mehr Grauen verbreiten, als staksten sie überdeutlich sichtbar massenhaft in dem nur allzu bekannten Verwesungsdesign mit den obligatorisch milchigen Augen einer kleinen Gruppe verzweifelt davonrennender Überlebender hinterher. In guter Sartrescher Tradition einer Freiheit mobilisierenden Kunst überlässt es der Film uns, den Zuschauer*innen, das Übel auszumalen. Dass Regisseur Trey Edward Shults diese Leerstelle bis zuletzt nicht füllt, zeugt von Mut in einer Zeit der im phantastischen Kino überall grassierenden Konkretitis: Sonst wird ja jedes Monster gnadenlos ins Licht gezerrt und erscheint in jedem Detail ausformuliert – wie besonders kontraproduktiv etwa in Lights Out. Beruhigende Erkennbar- und Handhabbarkeit wird auf diese Weise verheißen und der Horror schließlich verharmlost. In It Comes at Night bleibt die Bedrohung im Dunkel, wo sie unsere Angstphantasie mit umso düsteren Schwingen beflügelt. Dadurch nimmt unsere Seele beim Zusehen den Charakter der labyrinthischen, klaustrophobisch-hellhörigen Innenwelt des aus Holz im Walde gebauten Hauses an und wird schleichend mit dem Grauen konfrontiert, das in ihr selbst hockt. Trey Edward Shults gelang eine Wiederbelebung des gediegenen Gruselfilms in Form eines langsam entfalteten, minimalistischen Kammerspiels. Seinen Endzeitfilm inszeniert er hart gegen die Genregesetze: Horror erzeugt er nicht durch Splatter, Gore, die dramatische Inszenierung von Naturkatastrophen, Hetzjagden, Massen an torkelnden Leichen oder sonstigen apokalyptischen Monstern, sondern durch beklemmende Darstellungsverweigerung. Klug verweist der Film auf die im Kino mittlerweile allzu oft bemühte Tradition christlicher Todes- und Weltuntergangsphantasien, wenn er unseren Blick lenkt auf die im Haus hängende Reproduktion des im Prado ausgestellten Gemäldes Triumph des Todes, das Pieter Bruegel d. Ä. unter dem Eindruck der Pest geschaffen hatte: Ein Heer von Gerippen treibt Menschen in einen riesigen Sarg, richtet Blutbäder an und veranstaltet Folterorgien. Diese Tradition ist es, die bis heute unsere Erwartungen auch an einschlägige Kinoproduktionen bestimmt – Zeit, diese Tradition zu hinterfragen und zu unterlaufen!

Vorangetrieben wird die Handlung durch das Auftauchen eines fremden Mannes (Christopher Abbott), der schließlich mit seiner eigenen Familie, bestehend aus Frau Kim (Riley Keough) und dem kleinen Andrew (Griffin Robert Faulkner) in das Haus miteinziehen darf. Das Zusammenleben nach strengen Regeln scheint auch gut zu funktionieren. Alle verhalten sich verantwortungsvoll und diszipliniert. Sie bereichern einander, so weit dies im engen Entfaltungshorizont einer häuslichen Notgemeinschaft möglich ist:

Die für das gesamte tägliche Leben bestehende Gemeinschaft ist… naturgemäß das Haus (oikos)… (Aristoteles: Politik I 2 1252b, zitiert nach der Übers. v. F. Susemihl, Reinbek 1994).1

Höhere menschliche Entwicklung ist unter diesen Bedingungen nicht möglich, wie Paul, ein ehemaliger Geschichtslehrer, bitter erkennt: Er wisse alles über das Römische Reich, doch darauf komme es nicht an, wenn es nur noch um das nackte Überleben von Tag zu Tag geht.

Die völlige Vernichtung der beiden Familien stellt sich schließlich denkbar unspektakulär und unverschuldet ein: Der kleine Andrew muss schlafwandelnd die Tür nach draußen geöffnet und den mit letzter Kraft zurückgekehrten infizierten Familienhund berührt haben. Ohne sich dessen bewusst zu sein, steckt er den ahnungslosen Travis an, der Andrew irgendwo am Boden schlafend findet und an der Hand zurück ins Bett bringt. Die beiden Söhne geben die Seuche an ihre jeweiligen Eltern weiter. Als die beiden Familien diese Verkettung von Ereignissen erkennen, ist das Schicksal aller bereits besiegelt. Das jüngere Paar versucht in einem Schub sinnlosen Fluchtverhaltens, gegen das Unausweichliche zu rebellieren, weswegen sie von dem älteren Paar nach kurzem Kampf, ebenso sinnlos, umgebracht werden. Das Ende hätte ohnehin alle flott ereilt; für die beiden letzten Überlebenden kommt es in unerbittlicher Stille: In der Schlusseinstellung sitzen Sarah und Paul einander schweigend am kargen Küchentisch gegenüber – den Sohn hatten sie eben erschossen, verbrannt und begraben – und warten auf die letzte Etappe ihres Untergangs: Hoffnung wäre eitle Illusion, schmeichelnde Erlösungsgeschichten und krampfhafte Sinngebungsversuche, wie sie die Kirchen anbieten, wären selbstverleugnende Lügen. Nur ungeschöntes, nicht überhöhtes Fügen in das ausweglose Ende kann die Würde wahren. Es gilt, was Sarah zu Beginn des Films ihrem sterbenden Vater mit auf dem Weg gibt:

You don’t need to fight it. You can just let it all go. Everything’s okay (zitiert nach IMDb. Meine Übers.: „Du musst dagegen nicht ankämpfen. Du kannst einfach loslassen. Alles ist gut“).

Damit ist das direkte Dementi zu „Don’t let go“ (Lass nicht los!) formuliert: zu der Tagline von Gravity, einer Science-Fiction-Produktion, die rückhaltlos den Kampf um das eigene Überleben predigt. Shults dagegen gelingt es, das stille Akzeptieren der Auslöschung aus dem Surrealismus von Béla Tarrs Das Turiner Pferd (A Torinói ló, Ungarn e. a. 2011) in US-amerikanischen Realismus zu übertragen. Dadurch verdichtet sich It Comes at Night zu einem Symbol der Anerkennung des menschlichen Seins als grundsätzlich gefährdet und ausgesetzt. So sehr wir uns auch bemühen und disziplinieren, wir herrschen nicht über unsere Geschicke; diese hängen von unverstandenen und unverfügbaren Mächten ab. Um wie in der Besprechung von Gravity auch hier Aischylos‘ zeitlose Einsicht zu zitieren:

Ach sterblich’ Angelegenheiten: fallen gut (eutuchein)
Sie aus, ein Schatten kann sie wenden (trepein), schlecht (dustuchein),
Ein nasser Schwamm im Drüberstreichen löscht die Schrift (meine Übersetzung).

 

1 Klärender Hinweis für Spezialisten: Aristoteles oikos-Begriff unterscheidet sich von dem, was wir unter „Haus“ verstehen. In It Comes at Night nimmt „Haus“ allerdings durchaus den Charakter der Interaktionsgemeinschaft eines Gutshofes an, der die Subsistenz der Kernfamilie und ihrer „Sklaven“ – hier: der jüngeren Familie – sichern soll. Zu dem größeren staatsphilosophischen Zusammenhang, worin der aristotelische oikos-Begriff steht, s. den entsprechenden Teil meiner Einleitungsvorlesung zur Politischen Theorie.

 

Hinterlasse einen Kommentar