Sven-Ole Frahm: Harlekinische Kühle

Sven-Ole Frahms Kunst transzendiert den altmeisterlichen Umgang mit der Bildfläche. Die Leinwand ist durch Zerschneiden, Durchlöchern oder das Herausreißen von Lappen zerstört, aber nur um neu arrangiert zu werden.

Es bleiben Narben aus Nähten, es zeichnet sich Eingenähtes ab und es klaffen Wunden, die des Bildes Innereien entblößen. Rahmen, Streben, Leinwandrückseiten treten zutage.

Ins Sichtbare bewahrt die erzwungene Ordnung die Verletzungen, aus denen sie entstand: jedes Bild eine eigene Monstrosität, insofern nicht unähnlich der Kreatur Frankensteins, nur dass an die Stelle von Unheimlichkeit und Schrecken Analyse, Verlockung und geometrisch Groteskes treten.

Wir Heutigen haben denn auch ein entspanntes Verhältnis kultiviert gegenüber dem, was „unter die Haut geht“. Wir empfinden es kaum mehr als Bedrohung, sondern streben es immer öfter an: etwa als kosmetisches oder Gehirnfunktionen steigerndes Implantat.

Vor allem Frahms jüngere Bilder erkunden das Cyborg-Zeitalter, indem sie die Wahrnehmung schärfen für das unverborgen Eingepflanzte. Parallel zum Transhumanen entwickelt Frahm das Transpiktorale: Die Leinwand verliert ihre traditionelle Unantastbarkeit als Trägerin von Malerei und gewinnt Bearbeitbarkeit als Textil.

Ihre Implantate erscheinen regelmäßig angeordnet, meist parallel und im rechten Winkel wie geometrische Ausnehmungen in Futteralen für Gerätschaften zur Weltgestaltung – von Nagelfeile und -schere bis zum High-End-Werkzeug, dessen Sinn und Funktionsweise sich ausschließlich Experten erschließt.

Technische Orientierung spricht sich längst in unseren Körpern selbst aus. Nicht nur deren Bewegungen und Posen passen wir immer mehr den technischen und zivilisatorischen Vorgaben an, sondern zunehmend auch die organische Basis.

Diese aktuelle Entwicklung gründet in der unveränderten Position des Menschen zwischen Kontingenz als Inbegriff des glücksrelevanten Unverfügbaren und Bemeisterung. Um eine anwendbare Theorie des Zusammenspiels von tuche und techne rang bereits die antike Philosophie. Auch Frahm wirkt aus dieser grundlegenden Spannung.

Einerseits überlässt er sich wie beim Schütten oder Pinseln von Farbe dem Geschehen, andererseits verarbeitet er Zufallsprodukte in genau geplanten und kontrollierten Arbeitsvorgängen, wenn er beispielsweise alte Leinwandteile auswählt, zuschneidet und vernäht.

Kalkulierte licht- und blickpunktabhängige Kontingenz entsteht durch irisierende Farben, die sich mit der Betrachtungsposition lamellenbildähnlich ändern. Abgezirkeltes bleibt durch winzige Unregelmäßigkeiten immer sichtbar prekär, die Ordnung bleibt im Chaos aufgehoben, Vollkommenheit verliert sich im Vorbehalt, Eindeutigkeit im Wechsel der Perspektive.

Frahms Arbeiten stellen fest, dass sich unsere Sehnsüchte niemals ganz erfüllen, und fangen die Strategien des Fügens, Fassens, Glänzendmachens ab in der Unkalkulierbarkeit einer harlekinischen Kühle.

Herzlichen Dank an Sven-Ole Frahm für die Bereitstellung der Bilddateien. Alle Rechte liegen beim Künstler.

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