Homeland, Staffel 1 und 2

Harry

Diese Besprechung von Dr. Alexander Wiehart wurde am 8. September 2014 online gestellt.

Bitte Folgendes beachten: Ziel meiner Besprechungen ist es nicht, Empfehlungen abzugeben. In erster Linie setze ich mich essayistisch mit Filmen und Serien auseinander und behandle an ihnen allgemeine philosophische, sozial- und geisteswissenschaftliche Fragen. Dabei muss ich das „Ende“, Pointen, Wendungen und Clous oft in die Überlegungen einbeziehen. Wer sich daher Spannung und Suspense nicht verderben lassen will, lese meine Kritiken immer erst nach Sehen des Films beziehungsweise der Serie! Die Spoilerwarnung ist hiermit ausgesprochen.

Homeland, USA: 36+ Folgen in 3+ Staffeln seit 2011, Showrunner: Alex Gansa, Howard Gordon, D: Claire Danes, Damian Lewis, Morena Baccarin, Morgan Saylor, Mandy Patinkin u. a.
Die Besprechungsgrundlage bilden die DVD-Veröffentlichungen von Staffel 1 und Staffel 2.

Wie im Vorspann durch Platzierung der Hauptfiguren in einem Irrgarten aus Hecken angedeutet, hat die Handlung von Homeland reich labyrinthische Struktur. Deren zahlreiche Wendungen, verflochtene Haupt- und Seitenstränge und bewusst gelegte falsche Fährten nachzuzeichnen, beanspruchte mehrere schleppende Buchseiten. Um mir und den Leser_innen solche Weitschweifigkeit zu ersparen, setze ich Vertrautsein mit dem Inhalt der beiden ersten Staffeln dieser Serie voraus.

Auch in anderer Hinsicht erweist sich der Vorspann als ungemein aussagekräftig. Denn er erklärt unaufdringlich, aber prägnant mit den Mitteln der Bild-Ton-Kollage die Paranoia der Hauptfigur, der CIA-Agentin Carrie Anne Mathison. Kein von Terroristen verübtes Gemetzel an der Familie, das sie, wie so oft bei Film- und TV- Verfolger_innen, als Kind hätte mitansehen müssen, bewirkte ihre Verbissenheit. Es ist die mediale Permanentberieselung von klein an durch die Bedrohtseinsrhetorik US-amerikanischer Meinungs- und Heerführer, die das Terroristenjagen zu Carries Lebensinhalt macht: Schon in frühen Jahren schlüpft sie, um ihre Angst zu bekämpfen, unter die Löwenmaske, wie auf ins Intro eingestreuten Familienalbumbildern gezeigt. Von Ronald Reagan bis Barack Obama wurden und werden die Politstars nicht müde, zu Wachsamkeit und Gegenmaßnahmen aufzurufen, und installieren so die Terrorabwehr als höchstes Gut in der schlummernden Seele der kleinen Carrie. Auf diese Weise musste sie sich in den „Krieg gegen den Terrorismus“ hineingeboren fühlen. Ihre frühe Leidenschaft für Jazz, diese ur‑US‑amerikanische Musik, hat den Charakter eines wehrhaften kulturellen Dennoch, das gegen alle Bedrohungen des American Way of Life in Stellung gebracht wird. Entsprechend effektvoll kontrastiert der Vorspann Bild- und Tonschnipsel etwa von Louis Armstrong-Aufnahmen mit schwarz-weiß Fetzen US-amerikanischer Nachrichtensendungen seit den 1980er Jahren zu dem nervösen Durcheinander einer Schlafstörung, die uns qualvoll sowohl am Einschlafen, als auch Aufwachen hindert. Carrie, mit umwerfender Intensität in diesem affektgeladenen Halbbewusstsein verkörpert von Claire Danes, ist das allein durch Medieneinwirkung produzierte Kriegskind par excellence, das auf hohem Erregungs- und Aktionsniveau dahindämmert, ohne je die politischen Mechanismen ihrer Paranoia zu durchschauen und gegen sie aufzubegehren. Kein Wunder, dass sie sich mit einem solchen früh eingepflanzten monumentalen psychischen Hammer überall terroristischen Nägeln gegenüber sieht, die es unbarmherzig zu versenken gilt. Das System verschafft ihr auch reichlich Anreiz und Gelegenheit dazu, indem es mit Institutionen wie der CIA Infrastruktur, Betätigungsfelder, finanziell gut ausgestattete prestigeträchtige Planstellen und Aufstiegschancen bietet und die Aussicht auf eine Belobigung durch den „mächtigsten Mann der Welt“, diesen Papst, der über den Äther zu den Bürger_innen in undurchsichtig prägnanten Verlautbarungen spricht. Vom vielen Kämpfen hat Carrie, wie zahlreiche andere Film- und TV-Cops bzw. ‑Agenten, für ein stabiles Privatleben weder Zeit, Passion, noch Durchhaltevermögen übrig. One-Night-Stands nach dem Besuch von Jazzkellern sorgen für die sexuelle Auflockerung ihres Arbeitslebens, das ein Zivilist ohnehin nicht verstehen und gutheißen könnte.

Das große Verdienst zumindest der ersten Staffel von Homeland ist, diese bereits im Vorspann klug und packend skizzierten Zusammenhänge und vor allem die fatalen Wirkungen politischer Paranoia auf Seelen und Leben der Bürger_innen aufzudecken und dabei unsere empfindlichsten Nerven bis in die Spitzen zu reizen. Ab Staffel zwei macht sich die Serie mehr und mehr gemein mit der konstruierten Paranoia und präsentiert sie, wie politisch gewünscht, zunehmend als Realität, als die einzige Realität, an die man zu glauben habe, wolle man dem Terrorismus nicht in die Hände spielen. Das Finale der zweiten Staffel liefert mit dem erfolgreichen Anschlag auf die Spitze der CIA und der US‑Sicherheitspolitik den ultimativen Beweis für die Richtigkeit dieses oktroyierten Glaubens. Wie es in der dritten Season weiter geht, entzieht sich noch meiner Kenntnis.

Carrie entspricht dabei, abgesehen vielleicht von ihrer offensiven Sexualität, einem traditionellen Frauentypus, der im Horrorgenre Gang und Gäbe ist: dem sogenannten „final girl“ (nach Carol J. Clover). Das final girl besteht den letzten Kampf gegen das Monster und bleibt in der Regel als einzige die Handlung tragende Figur (meist als einzige einer Gruppe von Freund_innen) am Leben. Charakteristisch für das final girl ist auch, dass man ihm im Film zuerst nicht glaubt, weil man es für affektgesteuert, paranoid und daher nicht zurechnungsfähig hält – eine anfängliche Einschätzung, die das folgende Geschehen regelmäßig brutal widerlegt. Am Ende hat sich das final girl also nicht nur gegen das Monster durchgesetzt, sondern auch gegen alle Zweifel an ihrer Wirklichkeitswahrnehmung. Die Wirklichkeit erweist sich im Horrorfilm als tatsächlich so grauenvoll, wie vom final girl von Anfang an gewusst oder zumindest vermutet. Dieser Horrorfilmtypus findet sich mit Carrie in Homeland auf ein – wie bereits durch den dokumentarischen touch des Intros angezeigt – um Realismus bemühtes Agentensetting übertragen. Das lädt die ersten beiden Staffeln der Serie mit dichter Horrorfilmatmosphäre auf und gibt der Handlung ein Horrorfilmende vor: dass sich das Böse als viel gewaltiger erweist, als alle Figuren sich anfangs ausmalen konnten. Carries Vertrauenswürdigkeit wird von der ersten Folge an zusätzlich in Frage gezogen durch eine von ihr verheimlichte jahrelange bipolare Störung, die sie mehr schlecht als recht durch illegal erworbene Medikamente kontrolliert. Der offene Ausbruch dieser psychischen Krankheit am Ende der ersten Staffel lässt ihren Verdacht in den Augen der Vorgesetzten gänzlich als Äußerung wahnhafter Besessenheit erscheinen. Umso bedrohlicher wirkt der letztgültige Beweis, wie Recht Carrie hatte, am Ende der zweiten Staffel. Sogar Carries Vorstellungskraft bleibt hinter dem Wahnsinn der Realität zurück. Das Monster übertrifft effektvoll die schlimmsten Befürchtungen sogar des final girl. Denn Abu Nazir (Navid Negahban) hat alles so teuflisch arrangiert, dass er nach seinem Ableben noch das ungeheuerlichste Attentat verübt. Sein Terrorismus stirbt nicht mit ihm; wie im Horrorfilm erhebt sich das eigentlich bereits besiegte Monster noch einmal, um den ultimativen Schlag zu führen – hier: die Auslöschung der sicherheitspolitischen US-Elite. Homeland präsentiert uns also eine politische Welt, die sich nach den Gesetzen des Horrorgenres entwickelt. Zu dieser inhaltlichen Unruhe passen barocke Farbgebung und Lichtführung: dramatische Helldunkelkontraste, Gegenlicht, tiefe Verschattungen bei gleichzeitigem Glanz in insgesamt lichtarmem Khaki, Olivgrün, Beige und Braun, aus dem effektvoll immer wieder einzelne Farbakzente hervorstechen.

Medien und Politik arbeiten tatsächlich Hand in Hand, um Paranoia zu schüren und den Eindruck einer Horrorwelt hervorzurufen. Zu diesem Zweck stellen sie den eigenen Staat dar als Unternehmen der Bewährung in einer permanenten, aber gut verwalteten Ausnahmesituation. Herrschende Politiker profitieren immer, besonders in Zeiten der Wahlen von einem Non-Stop-Bedrohungsszenario, das den nationalen Schulterschluss mit der Tendenz bewirkt, sich hinter dem Führer der Nation zu versammeln. Ein auf soziale Reformen pochender Kandidat erscheint demgegenüber regelmäßig in viel matterem Glanz. Und die Medien vermehren ihre Kundschaft durch polarisierende, emotionalisierende, am besten gar erschreckende Nachrichten, wie sie ein „Krieg gegen den Terrorismus“ zuhauf generiert. Schließlich dürfen sich alle darüber freuen, auf der richtigen Seite eines Krieges zu stehen und wie beim Fußball ihr Bedürfnis nach massenstaatlicher, sich gegen einen äußeren Gegner konstituierender Kleingruppeneintracht auszuleben, sei es noch so grotesk und zerstörerisch für alle.

Diese Haltung führt nämlich in eine strikte Gut-Böse-Zweiteilung der gesamten Welt, wobei „gut“ nicht definiert ist durch die moralische Qualität der Taten und Haltungen. „Gut“ ist vielmehr, wer auf meiner Seite steht, wer meiner Nation angehört und ihre Interessen vertritt. Zugehörigkeit zu und Loyalität gegenüber der einen Seite gilt unter solchen psychopolitischen Bedingungen bereits als hinreichendes Qualitätsmerkmal. Dies ist eine religiös-bornierte Haltung; Carrie erscheint als eifernde Hohepriesterin und Inquisitorin einer politischen Religion, die um jeden Preis recht behalten muss. Für die zahlreichen Verbrechen, die Carrie begeht, um im Namen dieser Religion Recht zu behalten, gilt dasselbe wie für all die immensen Verbrechen, die im 20. Jahrhundert im Namen der unterschiedlichen quasireligiösen Totalitarismen begangen wurden. Homeland arbeitet gut die heute verbreiteten Spielarten der Staatskriminalität unter demokratischen und rechtsstaatlichen Bedingungen heraus: Es sind die Formen der Informationsbeschaffung in Verhören, durch unmenschliche Haftbedingungen und mittels einer ausgefeilten Überwachungstechnologie. Entgegen der Verpflichtung, die Menschenwürde zu achten und zu schützen, werden Menschen laufend vollständig zu nachrichtendienstlichen Objekten erniedrigt. Selbst eigene Informant_innen wie Lynne Reed (Brianna Brown) dienen lediglich als assets (Kapital, Anlage), deren Tod man in Kauf nimmt und trotz einiger Krokodilstränen eigentlich nur insofern bedauert, als er den Geheimdienst (beziehungsweise den Führungsoffizier) einer Investition und eines Werkzeugs beraubt.

Das Wissen um die Weltinhalte und die darauf begründete Technik sind nicht die temporal untergeordneten Mittel für das ewige Ziel des Lebens im überweltlichen Gott, sondern das Lebensblut des innerweltlichen Gottes selbst; … sie werden nicht als Verbrechen gegen die Würde der Person verworfen, sie werden nicht einmal nur ertragen aus der Einsicht in ein Gebot des Augenblicks, sie werden gefordert und ersehnt als Methoden religiös-ekstatischer Verbindung des Menschen mit seinem Gott. Die Erzeugung des Mythus und seine Propaganda durch Zeitung und Rundfunk, die Reden und Gemeinschaftsfeiern, die Versammlungen und das Marschieren, die Planarbeit und das Sterben im Kampf sind die innerweltlichen Formen der unio mystica (Eric Voegelin: Die politischen Religionen, 3. Aufl., München 2007, S. 55).

Als Carrie erfährt (Staffel 2, Folge 3), wie Recht sie mit ihrer Verdächtigung und Verfolgung Brodys hatte, rinnen ihr dicke Tränen der Selbstbestätigung und Genugtuung die Wangen hinab. Diese Folge endet effektvoll mit ihren Worten: „I was right“ („Ich hatte Recht“). Endlich darf sie sich wieder eins fühlen mit dem irdischen Gott ihrer Nation. Sie ist, um mit Eric Voegelin zu sprechen, wieder zugelassen zu der irdischen unio mystica, d. h. der Einung mit dem Staat als diesseitigem Gott, an dessen Blutkreislauf der Überwachung, Kontrolle und Eliminierung sie wieder aktiv teilhaben darf. Damit verbunden ist die Erlaubnis, sich voll und ganz auf ihre Instinkte verlassen zu dürfen, die Welt in „Gute“ und „Böse“einzuteilen, was politikreligiös soviel heißt wie: in Mitbürger_innen und Terrorsit_innen, in jene, die zu dieser Einheit gehören, und jene, die nicht. An der Figur Carries analysiert Homeland präzise und erhellend die politikreligiöse Struktur des staatlichen Sicherheitsapparates sowie der Psyche und des Handelns seiner Überwachungs- und Disziplinierungsexpert_innen. Ob CIA oder NSA, sie alle wurzeln in ein und derselben ersatzreligiösen Nährlösung. Den durchaus patriotischen Grund, der Brody veranlasst, an einem Terroranschlag gegen die Spitzen der US-Außenpolitik mitzuwirken, bemerkt Carrie in der religiösen Rührung über ihr Rechthaben und ihre Absolution gar nicht: der menschen- und völkerrechtswidrige Einsatz von US-Bomben gegen die Zivilbevölkerung, der 82 unschuldige Kinder tötet.

Ausgerechnet der jahrelang gefangen gehaltene, bestialisch gefolterte Marine Nicholas Brody, in seiner Undurchsichtigkeit und inneren Spannung grandios verkörpert von Damian Lewis, stellt diese simple Zweiteilung aus seiner Gefangenschaft heraus in Frage: Er erlebt dieses Kriegsverbrechen, das in den USA leicht vertuscht wird und in der aufgeheizten Stimmung eines „Krieges gegen den Terrorismus“ vermutlich ohnehin nicht auf allzu großes öffentliches Interesse gestoßen wäre – er erlebt das Kriegsverbrechen nicht nur, er erleidet es in der Trauer um den dabei getöteten Issa, den kleinen Sohn Abu Nazirs, zu dessen Unterrichtung er als Gefangener im Haushalt des Terroristenführers aufgenommen worden war (Staffel 1, Folge 9). Damit wird Brody zum gefährlichen Grenzgänger, der sich der Gut-Böse-Logik verweigert und die US-Funktionäre, die für diesen Luftschlag verantwortlich sind, ihrerseits des Terrorismus bezichtigt. Eine solch ambivalente Sicht des Kriegsgeschehens bräche den Kampfeswillen an der Heimatfront. Wenn Carrie und die CIA Nick Brody – in der Realität sind es die Whistelblower, die laufend Argumente gegen die moralische Überlegenheit und damit gegen die Legitimation der westlichen Sache liefern – verfolgen und letztlich zur Strecke bringen, dann geht es darum, diese Heimatfront durch Aufrechterhaltung des Gut-Böse-Schemas zu stabilisieren. Daher könnte der Titel dieser Serie nicht passender gewählt sein: Homeland – „Heimat“ im Sinne der Herkunft, der familiären und kulturellen Identität und der übergeordneten politischen Gemeinschaft. Denn es geht in der Serie darum, die religiöse Konstruktion „Homeland“ zu verteidigen, jenen fern von allen moralischen Ambivalenzen angesiedelten, unhinterfragten irdischen Gott, dem es als Zentrum der politischen Religion der USA laufend zu huldigen, opfern und für den es bedingungslos zu kämpfen gilt.

Der Serie kommt das Verdienst zu, diesen politikreligiösen Mechanismus aufzudecken. Allerdings erliegt sie dabei der Versuchung, sich mit diesem Mechanismus ins Einvernehmen zu setzen. Denn Carrie erscheint als der überlegene Charakter, der von Brody letztlich ausgetrickst wird und dem die Vorgesetzten, die Carrie feuern, sowie die Gesellschaft, die Carrie für psychisch krank erklärt, Unrecht tut. Sie wird so sehr Opfer, dass sie sich am Ende der ersten Staffel gewissermaßen selbst durch Einwilligung in eine medizinische Elektroschocktherapie foltert und einer Gehirnwäsche unterzieht. Wer ganz in der paranoidreligiösen Gut-Böse-Logik befangen ist, kann sich auch selbst nur als gutes oder böses Wesen begegnen. Erkennt man sich als böse im Sinne dieser Weltordnung, strebt man konsequenterweise, wenn nicht gleich den Selbstmord (Staffel 2, Folge 3), so wenigstens die Selbstläuterung an: das Ausbrennen der teuflischen Bestandteile mit den Mitteln moderner Medizin. Einige Jahrhunderte früher hätte Carrie in den Scheiterhaufen eingewilligt, um im Feuer ihre Seele zu reinigen. Vergebung wird ihr schließlich in Form der Rehabilitation durch den Geheimdienst zuteil, dessen lichtdurchflutete Innenarchitektur (s. etwa Staffel 1, Folge 2, 27.07-29.37; Folge 3, 7.57-9.57; 16.11-17.11 etc.) und monumentalen blauen Bildschirme die Ikonographie des Himmels zitieren. Und wer wollte, könnte am Himmel zweifeln? So weit reicht Carries Scharfsinn bei aller innersystemischen Unangepasstheit nicht, weil er entsteht, genährt und am Leben gehalten wird durch bedingungslose politikreligiöse Unterwürfigkeit.

Der pragmatische Zug der innerweltlichen Glaubenshaltung hat zur Folge, dass der Mensch dieses religiösen Typus bereit ist, die psychologische Technik der Mythenerzeugung, ‑propaganda und sozialen Durchsetzung zu kennen, sich aber durch dieses Wissen nicht in seinem Glauben stören zu lassen. Wenn das, was die Gemeinschaft fördert, wahr ist, dann sind auch die Mittel, die den gemeinschaftsfördernden Mythus durchsetzen, nicht nur die richtigen im technischen Sinn, sondern auch die erlaubten und sogar gebotenen im gemeinschaftsreligiösen Sinn (Eric Voegelin, ebd., S. 53f.).

In diesem Sinne geboten war etwa die Tötung Osama bin Ladens in einer Kommandooperation auf Befehl des US-Präsidenten. Das Wissen um die Unrechtmäßigkeit dieses Aktes ist weit verbreitet, stört aber nicht weiter; bin Ladens Hinrichtung zuzustimmen gilt als Credo, das allen US-Bürger_innen abverlangt wird, sie vollzogen zu haben, bedeutet nationale Selbstverwirklichung im Herbeiführen einer diesseitigen unio mystica. Aufgrund der von Voegelin beobachteten ersatzreligiösen Skrupellosigkeit, wenn es um die eigene nationale Sache geht, wird Homeland trotz scharfer Analytik politisch völlig wirkungslos bleiben. Diese Fernsehserie will offenbar auch gar nichts verändern. Die vollkommene Bestätigung der Paranoia am Ende der zweiten Staffel spricht Bände. Homeland benimmt sich damit selbst jeglichen Störungspotentiales.

Wer könnte einen verletzlichen, zugleich aber wuchtigen und nach dem Fall schließlich triumphierenden Engel dieser politischen Religion besser verkörpern als die zarte, diaphan-blonde, so energische Schönheit einer Claire Danes, der die dramatische Lichtführung und die Nahaufnahmen des Gesichts zusätzlich Kontur verleihen? Der Teufel Brody, kongenial verkörpert vom hageren, scharfkantigen und rothaarigen Damian Lewis, kriecht hingegen aus einem terroristischen Unterschlupf wie aus der Hölle hervor und ist immer wieder damit beschäftigt, etwas dieser Hölle einzuverleiben, indem er es nach dessen Vernichtung vergräbt oder ein Vergraben ankündigt: das erschossene Reh, die geschändete Ausgabe des Koran, die vermeintliche Leiche Tom Walkers im Wüstensand, die Leiche des Schneiders und Bombenbauers. Brodys klassisch satanischer Drang zum Erdinneren findet etwa auch in der Location des Zusammentreffens und Erschießens von Walker Ausdruck. Gerne verschwindet Brody auch in der Dunkelheit etwa eines Waldstücks (Staffel 1, Folge 2, 21.31-34). Wie unterweltliche Schemen erscheinen Figuren bisweilen, gefilmt in hartem Gegenlicht, wenn sie sich bei Brody oder an Brodys Orten aufhalten. Selbst Brodys Service Uniform als Marine in dunklem Olivgrün mit auffälligen, rot hochzüngelnden Rangabzeichen am Ärmel passt hervorragend ins diabolische Bild und wirkt merkwürdig deplaziert in Langleys himmelhellen Hallen (Staffel 1, Folge 5, 33.30-33.57). Also nicht nur durch die Handlung, auch durch Besetzung, visuelle Zitate und filmische Kunstgriffe hält Homeland die Spannung einer durchgängigen Gut-Böse-Polarität.

Ihren größten visuellen Reiz bezieht die Serie aus dem körperlichen Gegensatz zwischen Claire Danes und Damian Lewis. Werbewirksam wird er denn auch auf DVD-Cover und Plakaten eingesetzt, worauf Danes’ weich geschwungenes, hellgroßäugiges, offenes und Lewis’ dreieckig geschnittenes, grünschlitzäugiges, schmallippig verschlossenes Gesicht einander effektvoll kontrastieren.

Das in Homeland so überzeugend gespiegelte zutiefst religiös geprägte Handlungsgeflecht unserer nur an der Oberfläche areligiösen politischen Realität formt selbstverständlich auch unser Privatleben. Die Serie liefert in den ersten beiden Seasons eine brillante Analyse der Unmöglichkeit des zwischenmenschlichen Vertrauens unter solchen Bedingungen: „It’s the lies that undo us. It’s the lies we think we need to survive“ (in der Synchronisation: „Wir gehen an den Lügen zu Grunde, an den Lügen, von denen wir glauben, dass wir sie zum Überleben brauchen“, Staffel 2, Folge 5, 28.14-28.21). Lügen sind dort erforderlich, wo man immer damit rechnen muss, dass das Gegenüber einer verborgenen erbarmungslosen Agenda folgt und zu jeder Gräueltat bereit steht, die diese Agenda vorsieht. Eine solche Enthemmung im Namen höherer Werte und Instanzen ist, folgen wir Voegelin, ja nicht nur erwünscht, sondern Lebenssaft eines politikreligiösen Einheitsgefühls, das sich unter anderem aus der Ekstase dann und wann gemeinsam vollzogener Normübertretung speist. Carrie Mathisen, aber etwa auch ihr Kollege Jack Bauer in 24 – Twenty Four (USA 2001-2010), fungieren in unserer Kultur als Märtyrerikonen, an denen sich solche Ekstasen entzünden, wenn wir uns mit deren Verbrechen identifizieren, aber auch im Mitleiden an deren ständigem privatem Scheitern. Homeland macht dieses Scheitern im sehnsüchtig-erotischen Aufeinanderprallen von Carrie und Brody zu einem Hauptthema und zelebriert mit der Unmöglichkeit dieser Beziehung die ekstatische Opferung der romantischen Liebe auf dem Altar der herrschenden politischen Religion. Carrie Mathisen, Jack Bauer etc. haben in unserer Kultur denselben Sinn wie etwa die geschickten medialen Selbstinszenierungen Osama bin Ladens in der seinen.

Besonders berührt an Homeland, dass Carrie und Brody nicht etwa cool und unerschüttert bleiben. Ein James Bond oder ein George Smiley nutzt das Begehren der Gegner aus, wahrt aber selbst die emotionale Distanz. Carrie und Brody hingegen setzen Wahrheit, echte Gefühle, ihre gesamte Persönlichkeit inklusive des Allerintimsten für ihre politischen Zwecke ein. Sie behalten nichts für sich zurück, sondern gehen mit jeder Faser ihrer Existenz in der Mission auf. Nach einem von ehrlicher Zuneigung befeuchteten Kuss Carries, der gleichwohl von Carrie aus taktischen Gründen gesetzt wurde, bringt es Brody auf den Punkt: „I do feel used and played and lied to but I also feel good“ (In der Synchronisation: „Ich fühl’ mich ausgenutzt, ich werde manipuliert, ich werde belogen, aber das fühlt sich irgendwie gut an“; Staffel 2, Episode 7, 28.52-29.02). Carrie ist Geliebte und Führungsoffizier zugleich; der Kuss ist sowohl aufrichtiger Ausdruck ihrer Liebe als auch ein genau kalkulierter Akt der Führung ihres Doppelagenten. Die Figuren von Homeland handeln also nicht in einem professionellen Rahmen, der sie nach getaner Arbeit in eine arbeitsferne Privatsphäre entließe – wie James Bond an seinen Swimmingpool, George Smiley in seine gepflegte Lehnstuhllektüre. Selbst Jack Bauer strebt Privatheit an und agiert in der ersten Staffel von 24 größtenteils aus der Motivation, seine Privatsphäre, die Familie, zu schützen. Cary und Brody agieren demgegenüber religiös und enthüllen, opfern gar immer wieder ihr Innerstes: „I am working, I am always working“ („Ich arbeite, ich arbeite immer“, Staffel 1, Folge 7, 42.45-42.47), muss Carrie engagiert gestehen auf Brodys Frage, ob sie ihn auch während ihrer privatesten gemeinsamen Momente ausspioniert. Folgerichtig kennt Carrie gar kein berufsfreies Zuhause: ihre Wohnung, die Ferienhütte am See, wo sie mit Brody ein zärtliches Wochenende verbringt, selbst das Zimmer im Krankenhaus dienen immer auch als Arbeitsplatz. Echte intime Zweisamkeit wie die Romanze mit Brody fällt ineins mit hochprofessioneller Performance zu dem einen großen weltlichen Gottesdienst. Selbstverständlich gilt Entsprechendes für Brody. Die Heimkehr zu Frau und Familie gelingt nicht, weil er die Erfahrungen von 8 Jahren Kriegsgefangenschaft mitbringt, ins Ehebett trägt, und brutal verzweifelt in den Körper seiner Ehefrau stößt. Noch ganz im Kriegsmodus, versteht er nicht, warum sich alle aufregen, weil er ein Reh, das auf seinem Grundstück Blumen frisst, kurzerhand erschießt. Nicht einmal Schlaf und Traum bilden gesicherte Rückzugsorte. Immer und überall sind seine seelischen Wunden als Marine gegenwärtig, seine körperlichen haben für alle sichtbar tiefe Narben in der Haut hinterlassen und machen Brody überall, wo er das Oberteil auszieht, sofort wieder zum erschreckt bestaunten Kriegsgefangenen.

Ebenso spielt sich Carries Mentor Saul Berenson (Mandy Patinkin) selbst: seine schwierige, von Außenseitertum geprägte Kindheit, seine aktuellen Eheprobleme geschickt aus, um ein Vertrauensverhältnis zu der Gefangenen Aileen Morgan (Marin Ireland) aufzubauen (Staffel 1, Folge 7). Daraufhin enthüllt sie ihm schließlich ihre (sicherheitsrelevanten) Geheimnisse. Auch dieses Verhältnis bleibt dabei nicht rein äußerlich. Aileen und Saul kommen einander tatsächlich menschlich näher – eine Beziehung, die Saul später (Staffel 2, Episode 7) wieder zu aktivieren versucht. Im Verhältnis von Saul und Aileen spielt ausdrücklich die Religion eine zentrale Rolle: Saul als Jude und Aileen als gutbürgerliche kaukasische Muslima finden über ihr beider konfessionell bedingtes Außenseitertum zu einer gemeinsamen Gesprächsbasis – und zurück in die konfessionenübergreifende politikreligiöse Einheit der USA.

Unter der religiösen Aufladung politischer, militärischer und polizeilicher Tätigkeit als Mission leiden besonders die Kinder, die sich wegen des Sendungsbewusstseins ihrer Eltern immer wieder verbiegen müssen. Insbesondere wird von ihnen ohne viel Federlesens verlangt, die ihnen gerade eben anerzogenen moralischen Skrupel über Bord zu werfen, wenn dies die Mission der Eltern erfordert. Bereits das Gespräch zwischen Brodys Frau Jessica (Morena Baccarin) und beider Tochter Dana (Morgan Saylor) über den bevorstehenden nach Brodys Heimkunft ersten Fernsehauftritt der ganzen Familie (Staffel 1, Folge 3, 20.26-22.09, s. auch Folge 4, 26.05-26.40) zeigt nicht nur, wie Dana das medientaugliche Lügengebäude von der idealen Familie, in deren Schoss der Kriegsheld zurückkehrt, durchschaut. Es zeigt auch, dass die Erwachsenen an solchen Ikonen (aus religiös verinnerlichtem nationalen Interesse) festhalten wollen selbst um den Preis, die eigenen Kinder zu Komplizen ihrer Lügen zu machen: Jessica bittet Dana nachdrücklich, über die Liebesbeziehung zu Mike während Brodys Abwesenheit Stillschweigen zu bewahren, obwohl es sich dabei um ein offenes Geheimnis handelt, das sogar dem verwirrten Brody bald nicht mehr verborgen bleibt. Sobald Jessicas außereheliche Beziehung endgültig öffentlich geworden ist und es keinen Grund mehr gibt, dass Dana Stillschweigen bewahrt, nimmt Jessica sofort wieder die Rolle der maßregelnden Mutter ein und bestraft Dana wegen ungezogener Wortwahl mit Stubenarrest (Staffel 1, Folge 7, 7.21-8.01). Besser könnte man die doppelte Elternmoral nicht darstellen, eigene substantielle Fehltritte aus der Unübersichtlichkeit des Erwachsenenlebens zu entschuldigen, wenn nicht deren Thematisierung überhaupt zu vermeiden oder den Kindern gleich ganz zu verbieten, aber Verstöße gegen die Etikette, die sich die Kinder leisten, zu dramatisieren und mit großer moralischer Geste zu ahnden.

Kinder werden erzogen, Fehler einzugestehen, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen, Reue zu empfinden, Läuterung anzustreben und Versöhnung zu suchen – zu lauter Verhaltensweisen, die man in der Erwachsenenwelt nicht findet, besonders dann nicht, wenn sich die Erwachsenen ein Sendungsbewusstsein zulegen, das sie gegen alle Kritik immunisiert und womit sie sich selbst nicht nur einen Erlaubnisschein ausstellen für alle nur erdenklichen Verfehlungen, sondern diese Verfehlungen als Opfer, das sie zu bringen haben, und damit zur politikreligiösen Leistung umdeuten. So etwa zeigt 24 einen chronisch an seinen eigenen zahllosen Folterhandlungen seelisch leidenden Jack Bauer – mehr leidend gar als die Opfer seines Folterns. Die Gefolterten erscheinen damit als doppelt folterungswürdig: einmal als Terroristen, einmal als böse Menschen, die Jack Bauer das moralische Opfer abverlangen, dass er sie foltert. In eine solche Umdeutungsmühle gerät Dana in der zweiten Staffel von Homeland: in ihrem Beisein überfährt der Sohn des Vizepräsidenten eine Passantin. Dana möchte den Prinzipien, nach denen sie erzogen wurde, folgen und sich der Polizei stellen, wird aber von allen davon abgehalten: selbst von der Tochter der Überfahrenen, die Schweigegeld erhält, bliebe alles vertuscht. Vater Brody verhindert schließlich Danas Gang zur Polizei endgültig, wohinter Dana, was nahe liegt, Karriereräsonnements des Vaters vermutet. Tatsächlich treibt ihn die Angst, öffentlich als Terrorist gebrandmarkt zu werden und dadurch die Zukunft seiner Frau und Kinder zu zerstören (Staffel 2, Ende von Episode 7). Moralische Korrumpierung der Kinder wird, um ebendiese Kinder äußerlich zu beschützen, in Kauf genommen.

Solche Szenen werfen die Frage auf, warum wir es unseren Kindern überhaupt noch zumuten, traditionelle Moralvorstellungen zu erlernen. Warum sie stattdessen nicht lieber gleich in Vertuschung, Verfälschung der Tatsachen, Doppeldeutigkeit, Ausrede, Ausweichen, formaler Absicherung, dem Vergießen von Krokodilstränen und Salamitaktik unterrichten?

Am besten lässt sich Homeland als Dokument unserer Zeit auswerten im Vergleich mit Produktionen während des Kalten Krieges, da die Geheimdienstarbeit ähnlich großes Interesse der Unterhaltungsbranche auf sich zog wie wieder seit den Anschlägen vom 11. September 2001. Sehr schön gewinnt die Paranoia des Kalten Krieges als das gesamte Leben bestimmende Haltung und Grundlage jeglicher Weltzuwendung und ‑deutung surreal personifizierten Ausdruck in: Possession (Frankreich, Deutschland 1981, R: Andrzej Żuławski, D: Isabelle Adjani, Sam Neill, Heinz Bennent). Dort entsteht der neue, seiner Paranoia in jeder Regung vollkommen ergebene, kugelsichere Mensch. Geburt gegenseitigen Unverstehens, unausgesprochener Ängste und diffusen Misstrauens, reift er heran als ekelerregende, tentakelbewährte Masse, verborgen gedeihend in einer Wohnung unmittelbar an der Berliner Mauer. Auch in Homeland liegt der besondere Schrecken der Bedrohung durch den politischen Feind in ihrer Verinnerlichung: dass sich die Bürger_innen, insbesondere die Geheimdienstmitarbeiter_innen der sogenannten freien Welt schleichend, aber radikal politisch und charakterlich zu Monstren umformen, indem sie sich einer strengen Sicherheits- und Wachsamkeitsaskese unterwerfen – einer Askese, wie sie Präsident Obama in einem der Nachrichtenschnipsel des Vorspannes von Homeland nachdrücklich fordert und im Namen der USA ankündigt.

Der Kalte Krieg mit seinen Spionageumtrieben hat auch drei herausragende britische Fernsehproduktionen hervorgebracht, die sich gut zum weiteren Vergleich mit Homeland eignen: den TV-Spielfilm Charlie Muffin nach dem im Englischen gleichnamigen Roman von Brian Freemantle mit einem bestechenden David Hemmings in der Titelrolle (1979, R: Jack Gold) und die beiden Kurzserien nach Romanen von John le Carré über den alternden Agenten George Smiley, herausragend verkörpert von Alec Guinness: Dame, König, As, Spion (Tinker Tailor Soldier Spy, 7 Teile, 1979, R: John Irvin) und Agent in eigener Sache (Smiley’s People, 6 Teile, 1982, R: Simon Langton).

Smiley zeigt die nüchterne Rationalität des Verwalters und Organisators, der klar definierte Ziele verfolgt in einem Spiel mit allseits beachteten Regeln Zug um Zug fern von der Lebenswelt der Bürger_innen, die in das Geheimdienstschach zwischen den beiden großen Machtblöcken weder involviert, noch davon direkt bedroht sind. Als kalkulierender Beamter ist Smiley das polare Gegenteil der von Panik vor Anschlägen gegen die Zivilbevölkerung getriebenen, sich selbst für jeden Fehler geißelnden Carrie Mathison. Ihre leitmotivisch in jedem Vorspann (verkürzt und in abgeänderter Reihenfolge) wiederholten, höchst erregten Äußerungen im Gespräch mit Saul aus der allerersten Folge (42.14-42.50) definieren die Haltung der ganzen Serie:

Carrie: I – I’m just making sure we don’t get hit again… I’m serious. I missed something once before. I won’t – i can’t let that happen again!
Saul: It was 10 years ago. Everyone missed something that day.
Carrie: Yeah, everyone’s not me.

Saul: What the fuck are you doing?

Die Synchronisation liefert folgende Übersetzung:

Carrie: Ich will doch nur, dass wir nie wieder angegriffen werden… Ich mein’s ernst. Ich hab’, ich hab’ damals schon etwas übersehen. Ich werde – es darf, es darf nie wieder passieren.
Saul: Das ist 10 Jahre her. An dem Tag hat jeder etwas übersehen.
Carrie: Ja, ich bin aber nicht jeder.

Saul: Was tust du denn da?

An diesen von Claire Danes im Originalton atemlos, mit immer wieder ins Raue brechender, sich bisweilen überschlagender, höchst energischer Stimme ausgestoßenen Sätzen wird übrigens besonders deutlich, wie völlig die melodisch weiche, oft ironisch gefärbte deutsche Synchronstimme von Nana Spier, die hervorragend zu Buffy passte, den Charakter Carries und das Spiel von Claire Danes verfehlt. Die subtile, nuancenreiche Sprechkunst der Darsteller_innen von Homeland und ihre jeweils ganz eigentümlichen Stimmen sollte man sich nicht entgehen lassen. Diese Serie also unbedingt im englischen Original ansehen!

Ziehen wir einen weiteren Vergleich: Der schmuddelige Außenseiter Charlie Muffin führt in der gleichnamigen Fernsehproduktion anders als die schicke und schneidige Carrie die Möglichkeit vor, das eigene System in seinen Widersprüchen und zerstörerischen Wirkungen zu erkennen und zu überlisten. Er verkörpert den findigen Trickser, der sich des Systems durch Einsicht in dessen Funktionsweise bemächtigt – wie auch Dracula besiegen kann, wer die Gesetzte der Vampirexistenz (wie die für Vampire vernichtende Wirkung von Sonnenlicht, Knoblauch, Kreuz, Weihwasser, Holzpfählen etc.) kennt. Doch das System hat seit den 70er und 80er Jahren noch feinere Strategien entwickelt, jede gegen es gerichtete Cleverness von vornherein zu unterbinden, indem es die nationale Berufspflicht umso früher und fester in unseren Psychen verankert – so fest, dass wir uns selbst als seelisch gestört und verwerflich empfinden, sobald wir von der herrschenden politischen Religion abweichen oder ihre Praxis auch nur zu hinterfragen beginnen. Deshalb unterzieht Carrie sich aus freien Stücken einer rosskurartigen Psychotherapie; aus eigenem Antrieb will sie um jeden Preis zum funktionierenden Rädchen im Systemganzen wieder zurechtgeschliffen werden. Unser aller Glück erfüllt sich heutzutage im gnadenvoll erfahrenen und ersatzreligiös praktizierten Eingegliedertsein und nicht im Unvernehmen. Wir sehnen uns nach nichts mehr, als unsere Intelligenz für das System einsetzen zu dürfen oder sogar dafür einzusetzen, um uns immer systemtauglicher zu machen, und nicht, wie Muffin, aufbegehrend zur Aushebelung des Systems und zur Flucht.

Der Vergleich zwischen Homeland und qualitätvollen Fernsehproduktionen desselben Genres aus der Spätphase des Kalten Krieges legt nahe, dass wir auch in den „westlichen Demokratien“ gerade eine Resakralisierung des Politischen erleben und in inhaltlich entleerte fundamentalistische und ekstatische Verhaltensweisen zurückschnellen. Das politische Erbe der Aufklärung, wie es sich vor allem in Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, aber auch in einer distanzierten Intellektualität des Staates konkretisierte, verflacht zur verspielten Tapete in einer zunehmend mit Verehrung heischenden Symbolen und Folterinstrumenten zugestellten, verwildernden Kammer, worein blutige Rituale Einzug halten.

4 Gedanken zu “Homeland, Staffel 1 und 2

  1. Sehr gelungen und aufschlussreich, mit scharfem Blick auch für die Psychologie (gleiches gilt für die Besprechung von Star Wars, die man leider nicht kommentieren kann). „Ab Staffel zwei macht sich die Serie mehr und mehr gemein mit der konstruierten Paranoia…“ ist leider ebenso wahr und hat auch bei mir zum Interessensverlust an Homeland geführt.

    • Ja, schade, dass die Serie ihre anfängliche Ambivalenz aufgibt und in der 2. und 3. Staffel (die 4. kenne ich noch nicht) in die Unterscheidung „wir, die Guten – die anderen, die Bösen“ zurückfällt.
      Danke für den Hinweis auf die deaktivierte Kommentarfunktion bei „Star Wars“. Musste bemerken, dass auch auf anderen Seiten keine Kommentare möglich waren bzw. die Kommentarfunktion aus mir unerfindlichen Gründen deaktiviert war. Sorry, solches ist ja gar nicht in meinem Sinne. Jetzt müssten Kommentare bei allen Film- und Serienbesprechungen möglich sein.

  2. Danke für den privaten Hinweis: „Nasser Faris“ ist nicht der Name des Schneiders und Bombenbauers in der Serie, sondern der Name des ihn verkörpernden Schauspielers. Habe diesen Namen aus der Besprechung gelöscht, da es sich nur um eine kleine Nebenrolle handelt.

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